Programm
Programmkomitee
Julia Asbrand
Jürgen Bengel
Eva-Lotta Brakemeier
Hanna Christiansen
Thomas Fydrich
Tania Lincoln
Jan Richter
Silvia Schneider
Rudolf Stark
Brunna Tuschen-Caffier

Mediathek
Programmkomitee
Julia Asbrand
Jürgen Bengel
Eva-Lotta Brakemeier
Hanna Christiansen
Thomas Fydrich
Tania Lincoln
Jan Richter
Silvia Schneider
Rudolf Stark
Brunna Tuschen-Caffier

Alle Vorträge dieses Tages werden live aus Berlin gestreamt.
08:00
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Einlass
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Pause
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Mittagspause
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Pause
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Podiumsdiskussion: Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen: Hat Deutschland ein Evidenzproblem?
Podiumsdiskussion: Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen: Hat Deutschland ein Evidenzproblem?
Sieben Wochen bis zum Sprechstundentermin, 11 Wochen bis zur Akutbehandlung, 20 Wochen bis zur ersten Sitzung der Richtlinienpsychotherapie, steigende Bettenzahlen in psychiatrischen, psychosomatischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen. Schnellerer Zugang zu stationärer als zur ambulanten Therapie und längere Verweildauer bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen in stationären Einrichtungen. Das ist die aktuelle Versorgungssituation für Menschen mit psychischen Störungen in Deutschland. Hinzu kommt, dass die Festlegung auf Richtlinienpsychotherapie die flexible Anwendung unterschiedlicher psychotherapeutischer Methoden und Techniken einschränkt und den schnellen Transfer neuer Ergebnisse aus der Psychotherapie in die Praxis behindert. Können wir uns das leisten und wie evidenzbasiert ist die Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen in Deutschland? Welche Visionen gibt es für die Psychotherapie im 21. Jahrhundert in Deutschland? Diese Fragen werden im Rahmen der Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern der Psychologie, der Bundespsychotherapeutenkammer, Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitikern, Versorgungsforschern und Betroffenenvertretern diskutiert.
(Nach einer Diskussion auf dem Podium ist das Plenum eingeladen, sich an der Debatte zu beteiligen.)
Impulsreferat
M.A. Silke Lipinski, Betroffenenvertreterin Deutsches Zentrum für psychische Gesundheit, wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Psychologie, Humboldt Universität zu Berlin
Teilnehmer:innen der Podiumsdiskussion
- Christian Brettschneider, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Hamburg Center for Health Economics
- DP Timo Harfst, Stellvertretender Geschäftsführer der Bundespsychotherapeutenkammer
- Dr. Frank Jacobi, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Psychologische Hochschule Berlin
- Kirsten Kappert-Gonther, (stellv.) Vorsitzende Gesundheitsausschuss, Bündnis 90/die Grünen
- abgesagt – Silke Lipinski, Betroffenenvertreterin Deutsches Zentrum für psychische Gesundheit, Institut für Psychologie, HU Berlin
- Haluka Maier-Borst, Wissenschaftsjournalist beim rbb
- DP Barbara Lubisch, stellv. Bundesvorsitzende Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung, DPtV, stellvertretende Vorsitzende Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
- Klaus Müller-Siegel, Ärztlicher Dezernent Sozialmedizin, Deutsche Rentenversicherung Bund
Moderation: Prof. Dr. Cornelia Exner, Prof. Dr. Silvia Schneider, Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der DGPs
Entwicklung verstehen, nachhaltig behandeln: Klinische Psychologie und Psychotherapie der Lebensspanne
Entwicklung verstehen, nachhaltig behandeln: Klinische Psychologie und Psychotherapie der Lebensspanne
Silvia Schneider
Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit, Ruhr-Universität Bochum
Die weitreichenden negativen Auswirkungen psychischer Störungen auf das Individuum, seine Familie und die Gesellschaft als Ganzes rücken zunehmend in das Zentrum der Aufmerksamkeit von Wissenschaft und Gesundheitspolitik. In Deutschland leisten psychische Störungen den größten Beitrag zur Verursachung von Frühberentungen. Psychische Störungen fallen jedoch nicht erst im Erwachsenenalter plötzlich vom Himmel, sondern beginnen in Kindheit und Jugend. Frühe psychische Störungen können negative Entwicklungskaskaden in Gang setzen, die mit schweren und multimorbiden Verläufen im Erwachsenenalter enden. Um dies besser zu verstehen und nachhaltige Maßnahmen für Prävention und Therapie entwickeln zu können, benötigen wir einen Paradigmenwechsel: die meist statische klinisch-psychologische Forschung muss dringend um eine Perspektive ergänzt werden, die die gesamte Lebensspanne betrachtet. Umfassendes biopsychosoziales Wissen über normale, adaptive Entwicklung ist Voraussetzung für ein angemessenes Verständnis der Entwicklung psychischer Störungen und für die Förderung psychischer Gesundheit. Forschung zu normaler und abweichender Entwicklung über die gesamte Lebensspanne muss Hand in Hand gehen. Nur so kann früh, effizient und nachhaltig interveniert werden, statt später und mit hohen individuellen sowie gesellschaftlichen Kosten chronifizierte Verläufe behandeln zu müssen, wie dies gegenwärtig leider viel zu häufig der Fall ist. Im Vortrag wird zunächst ein entwicklungspsychopathologisches Modell dargestellt. Darauf aufbauend wird anhand ausgewählter Grundlagen- und Interventionsstudien mit Kindern und Jugendlichen die Bedeutung des Lebensspannenansatzes für eine erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen an die psychische Gesundheit gezeigt. Am Beispiel von Regulationsproblemen und Angststörungen wird insbesondere auf die Bedeutung von Lernen als wichtiger Mechanismus für Entwicklung und familiale Transmissionsprozesse eingegangen und schließlich werden entwicklungspsychopathologische Therapiefragestellungen vorgestellt. Ein Paradigmenwechsel hin zu einer Klinischen Psychologie der Lebensspanne erfordert einen langen Atem, beinhaltet aber eine nachhaltige Strategie für die Verbesserung der psychischen Gesundheit ab der ersten Zelle.
Gewolltes Nichtwissen: Von Emotionsregulation bis strategischer Ignoranz
Entwicklung verstehen, nachhaltig behandeln: Klinische Psychologie und Psychotherapie der Lebensspanne
Ralph Hertwig
Die abendländische Geistesgeschichte durchzieht eine fundamentale Überzeugung: Menschen schätzen Wissen und sie streben immerwährend danach. Ungeachtet dieses Diktums entscheiden sich Menschen nicht selten dafür, etwas explizit nicht wissen zu wollen. Günter Grass wollte seine Stasi-Akten nicht lesen und James Watson wollte nicht erfahren, ob er ein erhöhtes Risiko für Alzheimer hat. Man kann die bewusste Entscheidung, leicht verfügbares Wissen (oder Information) nicht zu suchen bzw. nicht anzuwenden, „gewolltes Nichtwissen“ (oder „deliberate ignorance“) nennen. Anhand von Beispielen aus einem weiten Spektrum möchte ich zeigen, dass gewolltes Nichtwissen wichtige Funktionen erfüllen kann. Die Funktionen können strategischer Natur sein. Gewolltes Nichtwissen kann aber auch Unparteilichkeit möglich machen, Emotionen regulieren oder unsere kognitive Autonomie sicherstellen. Bislang hat die Psychologie dem gewollten Nichtwissen wenig Beachtung geschenkt. Jedoch ist der Wunsch, etwas nicht wissen zu wollen, keine Abnormität, sondern viel verbreiteter als wir denken. Die Reise durch die Welt des gewollten Nichtwissens bringt uns von den Stasiakten zu genetischen Tests, von der „plausible deniability“-Doktrin zu den Berliner Philharmonikern. Bezüge zur klinischen Psychologie gibt es auch – ich bin gespannt, ob Ihnen die gleichen einfallen, die mir in den Kopf kommen.
The ICD-11: Implications and opportunities for psychology
The ICD-11: Implications and opportunities for psychology
Cooperative event, co-sponsored by the PSYCHANGE initiative, Hessian Ministry of Science and Arts
Prof. Geoffrey M. Reed
Professor of Medical Psychology, Department of Psychiatry, Columbia University Medical Center
Consultant, Department of Mental Health and Substance Use, World Health Organization
Eleventh Revision of the World Health Organization’s (WHO’s) International Classification of Diseases (ICD-11) was approved by the World Health Assembly in May 2019. Reporting of health statistics by WHO members states began in 2022. Over the next several years, WHO member states will work toward full implementation by integrating the ICD-11 in their information systems, clinical system, health policies, and laws. The ICD-11 is the first comprehensive revision of the ICD in 30 years, and incorporates major advances in scientific evidence, best clinical practices, and health information systems. The WHO Department of Mental Health and Substance Use has led the development of the Clinical Descriptions and Diagnostic Requirements for ICD-11 Mental, Behavioural or Neurodevelopmental Disorders (CDDR), which provide the information needed by psychologists and other mental health professionals to reliably apply the ICD-11 classification of Mental, Behavioral or Neurodevelopmental Disorders in their work with patients.
This presentation will provide an overview of the ICD-11 mental disorders classification and the CDDR and their development and describe important innovations relative to ICD-10. Many of these changes can be characterized as reflecting the adoption of a more psychological approach to the classification of mental disorders. For example, an important innovation is the incorporation of dimensional approaches within a categorical system. New disorders have been added to the ICD-11, several of which have generated controversy, and a substantial number have been deleted. The Cartesian separation of “organic” and “non-organic” disorders has largely been eliminated. Importantly, ICD-10 gender identity disorders have been reformulated as gender incongruence of adolescence and adulthood and gender incongruence of childhood and are no longer considered mental disorders. How these changes can improve the clinical utility of the classification as a part of the daily work of psychologists will be emphasized. Particular consideration will be given to psychotic disorders, disorders specifically associated with stress, disorders due to substance use and addictive behaviours, and personality disorders.
KLAUS-GRAWE-VORLESUNG: From lab to clinic: new science of mental disorders
From lab to clinic: new science of mental disorders
Anita Jansen
Maastricht University
Although the disorder-based approach to the treatment of mental disorders works well for about half of the patients, the other 50% do not profit from this ‘one-model-fits-all’ method. In this lecture, I will present a new theoretical and methodological framework to explain the existence, development, and maintenance of mental disorders: the network approach. With the network approach we move away from the traditional disorder-based theory and practice by conceptualizing mental disorders as a complex system of dynamically interacting symptoms. The network approach enables to study processes bridging diagnostic boundaries, and instead of solely relying on between-subjects data, personalized dynamic processes and mechanisms within individuals are taken into consideration. As such, the network approach has the potential for evolving into a paradigm shift in clinical psychology: it offers new ways to diagnose and treat mental disorders. The network approach of mental disorders, and the opportunities the model offers for new network-based diagnoses and interventions are outlined and provided with practical examples from the eating disorder field. The core ideas of a consortium of Dutch clinical psychologists working together at the national level within an ambitious and challenging 10-year project on the network approach will be presented, and conceptual as well as practical challenges of the network approach for clinical psychology are discussed.
Temporal dynamics of insight in body dysmorphic disorder: An ecological momentary assessment study
Temporal dynamics of insight in body dysmorphic disorder: An ecological momentary assessment study
Dr. Johanna Schulte
Klinische Psychologie und Psychotherapie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Bei Personen mit einer Körperdysmorphen Störung (KDS) besteht häufig eine geringe oder fehlende Einsicht, die durch starke Überzeugungen hinsichtlich wahrgenommener leicht oder nicht vorhandener körperlicher Makel gekennzeichnet ist und die Symptomschwere und den Störungsverlauf bedingt. Obwohl bereits angenommen wurde, dass die Einsicht innerhalb von Personen mit KDS über die Zeit hinweg schwankt, wurde die zeitliche Instabilität und die damit möglicherweise verbundenen affektiven und kognitiven Merkmale bislang nicht untersucht. Im vorgestellten Projekt wurden die Einsicht und die Zusammenhänge mit Affekt und Selbstwert mittels Ecological Momentary Assessment betrachtet. Jeweils 30 Personen mit KDS und 30 psychisch gesunde Personen beantworteten an sechs Tagen signal- und eventbasierte Messungen (M = 8.54 pro Tag, N = 3075 insgesamt) im Abstand von 30 Minuten bis einigen Stunden. In Mehrebenenmodellen zeigten sich erhebliche intraindividuelle Schwankungen der Überzeugungen, die bei Personen mit KDS deutlich und bei psychisch Gesunden in geringerem Ausmaß vorlagen. Eine schlechtere Einsicht korrelierte zum gleichen Zeitpunkt mit geringerem positivem Affekt und geringerem Selbstwert sowie nur bei KDS mit höherem negativem Affekt. In Modellen mit allen Prädiktoren und über die Zeit hinweg erwies sich bei Personen mit KDS der Selbstwert als bedeutsamster Prädiktor für die Einsicht. Die Ergebnisse zeigen, dass aussehensbezogene Überzeugungen sowohl bei Personen mit KDS als auch bei psychisch Gesunden auf einem Kontinuum fluktuieren können. Die Einsicht sollte diagnostisch eher als State-Merkmal berücksichtigt werden, sodass künftig untersucht werden kann, wie körperdysmorphe Überzeugungen entstehen und aufrechterhalten werden. Der gefundene dynamische Zusammenhang von Einsicht und Selbstwert könnte zudem für die Behandlung der KDS besonders relevant sein.