
Keynotes

Prof. Dr. Rudolf Stark
Justus Liebig-Universität Gießen
The Darkside of Porn: Von den Grundlagen zur Therapie der Pornografie-Nutzungsstörung
Prof. Dr. Rudolf Stark
Heute ist Pornografie nahezu überall und jederzeit verfügbar. Während die Pornografienutzung für die meisten Erwachsenen kein Problem darstellt, erleben vor allem einige Männer ihren Konsum als unkontrollierbar mit dem Ergebnis, dass sie trotz gravierender negativer Folgen ihren Konsum nicht reduzieren oder einstellen können. Als eine Konsequenz führte die WHO 2019 die Störung mit zwanghaften sexuellen Verhalten als neue Diagnose unter den Impulskontrollstörungen im ICD-11 ein. Die Pornografie-Nutzungsstörung stellt die häufigste Form dieser neuen Diagnose dar.
In dem Vortrag werden Befunde aus der Grundlagenforschung präsentiert, die verständlich machen, warum das Betrachten von explizit sexuellen Reize für viele Menschen attraktiv ist. Nach epidemiologischen und diagnostischen Exkursen wird ein Modell vorgestellt, dass die Entwicklung einer Pornografie-Nutzungsstörung erklären kann. Im letzten Teil des Vortrags wird auf die Therapie der Störung und besonders auf die Studie PornLoS eingegangen. In dieser Studie wird mittels eines RCT ein neues Therapieprogramm bei der Behandlung der Pornografie-Nutzungsstörung erprobt. Erste Erkenntnisse aus der Studie werden vorgestellt und diskutiert.

Prof. Dr. Aleksandra Kaurin
Bergische Universität Wuppertal
Zwischen Wandel und Widerstand: Psychische Gesundheit in der Adoleszenz
Prof. Dr. Aleksandra Kaurin
Die Adoleszenz ist eine Phase tiefgreifender neurobiologischer, sozialer und emotionaler Veränderungen. Während Reifungsprozesse die Impuls- und Emotionskontrolle herausfordern, steigen gesellschaftliche Erwartungen an Autonomie, Leistung und soziale Kompetenz. Besonders Jugendliche mit minorisierten Identitäten sind zusätzlichen Stressoren ausgesetzt, etwa durch Diskriminierung in Schulen, digitalen Räumen und ihrem sozialen Umfeld. Bisherige Forschung fokussiert oft auf individuelle Risiko- und Schutzfaktoren. Doch angesichts globaler Krisen und eines zunehmend polarisierten gesellschaftlichen Klimas wird deutlich, dass psychische Gesundheit in der Adoleszenz nur unter Berücksichtigung interpersoneller und gesellschaftlicher Kontexte verstanden werden kann. Dieser Vortrag stellt empirische Befunde vor, die ein solches kontextualisiertes Verständnis ermöglichen. Dabei wird insbesondere diskutiert, wie Experience Sampling Methoden zur Modellierung klinisch relevanter Alltagsprozesse genutzt werden können, um psychische Entwicklung Jugendlicher auf der Grundlage intensiver Längsschnittdaten präziser zu erfassen.

Prof. Dr. Stefan Hofmann
Philipps-Universität Marburg
Therapien verbessern: Von Molekülen zu Modellen
Prof. Dr. Stefan Hofmann
Die kognitive verhaltensorientierte Therapie (KVT) ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Psychiatrie und klinischen Psychologie. Jedoch hat sich die Effektivität dieser Therapie in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert. In diesem Vortrag diskutiere ich die folgenden 3 Strategien, die zur Verbesserung dieser Therapie führen können: (1) Erkenntnisse aus den Neurowissenschaft zeigen, dass therapeutische Prozesse auf molekularer Ebene verstärkt werden können; (2) neue theoriegeleitete therapeutische Ansätze können den Behandlungserfolg steigern; und (3) unserer grundlegendes latente Krankheitsmodell muss überdacht werden. Ein alternatives Modell bietet die prozessbasierte Therapie (PBT). PBT ist darauf ausgerichtet, die zentralen biopsychosozialen kontext-spezifischen Prozesse bei einer gegebenen Person zu identifizieren, um diese konkret zu verändern, um die persönlichen Ziele zu erreichen. Hierzu wird ein personenspezifisches Netzwerk von Problemen erstellt, welches mittels Netzwerk kontroll-theoretischen Prinzipien von einem maladaptiven hin zu einem adaptiven System mittels therapeutischer Strategien überführt wird. Diese Veränderungen implizieren einen notwendigen Paradigmenwechsel in der klinischen Forschung und Praxis.

Prof. Dr. George Bonanno
Columbia University, New York, USA
Trauma and the resilience paradox
Prof. Dr. George A. Bonanno
Decades of research has shown that response to potentially traumatic events produce various prototypical trajectories of outcome, the most common being a stable trajectory of healthy functioning, or resilience. Paradoxically, correlates of these patterns show uniformly small effects and say little about who will actually be resilient and who not. Among the reasons for this paradox are that the challenges presented by highly aversive situations are highly variable and that virtually all traits and behaviours have both costs and benefits. Thus, what works in one situation may not work as well, or may even be harmful, in another. How can people solve this paradox and find their way to resilience? The answer, my research suggests, is the process of flexible self-regulation or regulatory flexibility. I will elaborate on this process and conclude the talk by reviewing recent studies and new directions on regulatory flexibility.

Prof. Dr. Talma Hendler
Tel Aviv University, Tel Aviv, Israel
Harnessing the Brain to Heal the Mind: principles and perspectives of utilization
Prof. Dr. Talma Hendler
Mental health despite adversity, known as stress resilience, depends on homeostasis between threat- and reward driven systems. Balanced neural functions of these systems underlie adaptive behavior in face of threat and risk. In my talk, I will show how utilizing brain-computer interface for self-neuromodulation (also known as neurofeedback), could drive such balancing by addressing the following questions: How to precisely probing the relevant neural functions by using multi-modal imaging and complex feedback interface? What are the mechanisms of self-neuromodulation as manifested in capacity and learning? Why and how to integrate self-neuromodulation with psychotherapy? Altogether, the answers on these matters will portray a promising path for bridging the gap between neuroscientific insights and mental health therapeutics while considering brain driven diagnosis.

Prof. Dr. Sabine Wilhelm
Harvard Medical School, Boston, USA
Transforming Healthcare with Digital Tools and Artificial Intelligence: Opportunities and Challenges
Prof. Dr. Sabine Wilhelm
Most individuals who are suffering from mental illness are not receiving any care at all, and those who do often face challenges accessing high-quality care. Artificial Intelligence (AI) can be leveraged to enhance the quality of psychotherapy, and technology-based treatments can offer novel solutions to key treatment barriers. Dr. Wilhelm will discuss new AI-powered therapist-facing tools and smartphone-based treatments for a range of mental health issues. She will also review the potential risks and implementation challenges associated with these novel approaches.
State of the Art
Was haben wir über die Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen gelernt? Rückblick und Blick in die Zukunft
Prof. Dr. Anke Ehlers
Posttraumatische Belastungsstörungen sind seit Einführung der Diagnose im DSM-III (1980) and ICD-10 (1990) intensiv erforscht worden. Eine Reihe sehr wirksamer psychologischer Behandlungsprogramme (verschiedene KVT-Programme mit Traumafokus und EMDR) werden in internationalen Behandlungsleitlinien als Methoden erster Wahl empfohlen.
Der Vortrag gibt einen Überblick über die Entwicklung der Behandlungsmethoden. Zunächst betrachte ich gemeinsame Elemente, Unterschiede und gemeinsame Wirkmechanismen werden betrachtet. Danach werden einige Ergebnisse zu neueren Entwicklungen wie intensive tägliche Therapie und therapeutengeleitete Internetbasierte Therapie werden dargestellt, neben der Wirksamkeit in Symptomen und Lebensqualität wird die Patienten- und Therapeutenerfahrung mit diesen Methoden betrachtet. Abschließend diskutiere ich mögliche Konsequenzen aus der Einführung der neuen Diagnose komplexe PTBS in der ICD-11 (2022) und Faktoren, die einer erfolgreichen Implementierung der Behandlung in der klinischen Praxis entgegenwirken.
Komorbidität psychischer Störungen und Sucht: Grundlagen und Behandlungsansätze
Prof. Dr. phil. Franz Moggi, EMBA
Theoretischer Hintergrund: Die Komorbidität von psychischen Störungen und Substanzkonsumstörungen ruft bei Fachpersonen im Gesundheitswesen diagnostische und therapeutische Unsicherheiten hervor. Dies liegt nicht nur an der Heterogenität und Komplexität dieser weit gefassten Patient:innengruppe, sondern auch an fehlenden Behandlungsleitlinien.
Fragestellung: Nachdem im Referat prägnant die Grundlagen zu Epidemiologie, Diagnostik und Ätiologie ausgewählter Komorbiditäten dargelegt worden sind, soll der Frage nachgegangen werden, welche Behandlungsgrundsätze sich aus der empirischen Forschung und der klinischen Praxis für die tägliche psychotherapeutische Arbeit ableiten lassen.
Methode: Der Vortrag ist ein mit eigenen Forschungsergebnissen ergänzter Überblick, der auf systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen basiert.
Ergebnis: Epidemiologische Studien zeigen in Abhängigkeit verschiedener Störungskombinationen eine grosse Bandbreite an Prävalenzen und Studien zur Ätiologie diskutieren unterschiedliche Modelle. Wegen hoher Heterogenität in den Patient:innen-, Therapieprogramm-, Interventions-, Settings- und Ergebnismerkmalen sind die Therapiestudien nur eingeschränkt vergleichbar. Integrierte, z.T. auch parallele Behandlungen, die gleichzeitig beide Störungen therapeutisch adressieren, sind wirksam und Kontrollgruppen bzw. Standardbehandlungen überlegen.
Schlussfolgerung: Integrative, nach Intensität gestufte Behandlungen, die störungsspezifische Interventionen kombinieren, scheinen weniger aufwändigen Behandlungen in Bezug auf die Verbesserung des Substanzkonsums, der Symptome der psychischen Störungen und des Funktionsniveaus überlegen zu sein.
Stichworte: Komorbidität; Psychische Störung; Substanzkonsumstörung; integrierte Therapien
Psychotherapie suizidaler PatientInnen: State of the Art
Prof. Dr. Tobias Teismann
Im Vortrag werden aktuelle Konzepte zum Verständnis und zur Behandlung suizidaler PatientenInnen vorgestellt und diskutiert. Es wird zunächst erläutert warum eine valide Risikoabschätzung nicht (oder nahezu nicht) möglich ist und es werden Implikationen für den Umgang mit suizidalen PatientInnen reflektiert. Sodann werden – unter Bezug auf die aktuelle deutsche Leitlinie zum Umgang mit suizidalen PatientInnen – krisentherapeutische Interventionen und psychotherapeutische Behandlungsprogramme hinsichtlich ihrer praktisch-therapeutischen Umsetzung und ihrer empirischen Absicherung beschrieben.
In diesem Zusammenhang wird auch auf gängige Probleme in der klinischen Praxis (chronische Suizidalität, Suizidgesten) eingegangen und es finden Behandlungskonzepte für das stationäre Setting Erwähnung.
Too Afraid of Illness: Understanding and Managing Health Anxiety in Children and Adolescents
Prof. Dr. Charlotte Rask
Health anxiety is a growing concern in modern healthcare. With increased access to information and heightened awareness of diseases, young individuals may be particularly prone to developing excessive worries about their health. These worries are often associated with significant distress, functional impairment, and healthcare use. Research highlights that such illness-related concerns can emerge in early childhood, persist through adolescence, and potentially develop into chronic health anxiety in adulthood.
Exposure to parental health anxiety or early experiences with serious illness may heighten these risks through the transgenerational transmission of maladaptive illness beliefs and behaviors. While cognitive-behavioral therapies for adults show promise, treatments tailored to youths remain limited.
A transdiagnostic, family-centered approach could be pivotal in addressing overlapping psychopathology and facilitating scalable interventions. Early detection and prevention may also be key to reducing long-term consequences and improving mental health outcomes for children and adolescents, offering substantial benefits for both individuals and society.
Klaus-Grawe-Mittagsvorlesung

Prof. Dr. Winfried Rief
Philipps Universität Marburg
Die Macht der Erwartungen: Vom Placebo-Effekt zur Anwendung in der Psychotherapie
Prof. Dr. Winfried Rief
Bei den meisten medizinischen und psychologischen Behandlungen finden sich Placebo-und Nocebo-Effekte, zum Teil in substantiellem Ausmaß. Diese Placebo-und Nocebo-Effekte werden primär durch Behandlungserwartungen determiniert, die zum Beispiel durch Vorerfahrungen, Beobachtungslernen, aber auch sonstige Informationen moduliert werden. Dies legt nahe, Erwartungseffekte systematischer zu nutzen, um Therapien effektiver zu machen. Selbst bei stark organmedizinischen Interventionen gelang es uns entsprechend, durch erwartungsoptimierende Interventionen deren Behandlungsergebnisse zu verbessern.
Im Bereich psychischer Störungen bieten Erwartungseffekte zusätzlich das Potential, nicht nur Behandlungserwartungen in den Fokus zu nehmen, sondern auch weitere störungsspezifische Erwartungen (z.B. „ich werde zurückgewiesen werden“). Im Bereich Depression haben wir deshalb in verschiedenen Experimenten störungsspezifische Erwartungseffekte moduliert und konnten damit unser Störungsverständnis weiter verbessern sowie therapeutische Ansatzpunkte präzisieren. Parallel dazu wurde ein theoretisches Modell entwickelt, um nicht nur die Entwicklung von Erwartungen besser zu verstehen, sondern auch um zu erklären, warum gerade negative Erwartungen bei Patientengruppen persistieren können, selbst wenn positive Erfahrungen gemacht werden (z.B. durch „kognitive Immunisierung“). Dieser Prozess kann auch zum Teil erklären, wie es zu therapierefraktären Prozessen in der Psychotherapie kommen kann.
Daraus ergeben sich diverse Implikationen für die Weiterentwicklung von Psychotherapie. Unabhängig von der eingesetzten Therapiemethode oder dem Therapieverfahren baut erfolgreiche Psychotherapie implizit oder explizit auf erreichte Erwartungsveränderungen auf. Eine verbesserte Fokussierung auf Erwartungsprozesse sowie eine Reduktion von kognitiven Immunisierungsprozessen hat deshalb das Potential, Psychotherapie zu optimieren. Hierzu werden verschiedene Beispiele im Vortrag dargestellt.